Der Verstand – Mittel oder Zweck?

Der Verstand wird (vor allem in unserem Breitengraden) in Laufe des Daseins das wichtigste Werkzeug der Wahrnehmung.

Ein Werkzeug ist stets Mittel zum Zweck!

Mittel und Zwecke in ihrer Bedeutung zu verwechseln oder zu vertauschen, zeitigt nachhaltige Folgen. Hinsichtlich des Verstands ist die Identifikation mit dem Denken zu nennen. Hierin liegt die Entstehung der Ich-Haftigkeit, des Ego-Selbst.

Der Verstand als Werkzeug bildet das Mittel zum Zweck. Dieser Zweck wird häufig als das Erkennen des Sinns des Lebens formuliert. Wenn also der Zweck darin besteht zu erkennen, dann ist es auch leichter nachzuvollziehen, dass der Verstand ein taugliches Instrument ist, die Wahrnehmung so zu schulen, dass ERKENNEN möglich wird. Das bedeutet auch, dass Wahrnehmung ebenfalls ein Mittel zum Zweck ist – das wichtigste Mittel, um sich dem ERKENNEN und damit der WAHRHEIT anzunähern.

Um diese Annäherung mit dem Werkzeug Verstand zu befördern, ist es erforderlich, sich gedanklicher Konstrukte zu bedienen. Diese Konstrukte können sowohl nachhaltig die Wahrnehmung verändern als auch bewirken, das ICH in einem anderen Licht zu sehen. Das ICH anders zu beleuchten, bewirkt zunehmend auch eine andere Sicht auf Welt und WIRKLICHKEIT.

Gadamers „Hermeneutische Spirale“ kann eine hilfreiche Veranschaulichung des Entfaltungsprozesses sein, in dem sich das geistige Reifen vollzieht, das die Bereitwilligkeit für die Änderung der eigenen Wahrnehmung ermöglicht, den Geist öffnet und somit den Weg ebnet, „die SCHAU“ erfahren zu können.

Platon hat die Welt der Erscheinungen von der Welt der Ideen abgegrenzt, wenngleich die Erscheinungen sich nur aufgrund der Ideen zeigen können. Auch wenn Aristoteles als sein langjähriger Schüler die Ideenlehre anders interpretierte, d.h.  andere „Gesetzmäßigkeiten“ formulierte als Platon, ging es beiden um das ERKENNEN DES SEINS, der universell gültige WAHRHEIT und der WIRKLICHKEIT.

Das SEIN, die WAHRHEIT und die WIRKLICHKEIT in einem Atemzug zu nennen, lässt die Frage entstehen, welcher Wahrnehmung es wohl bedarf, die dem ERKENNEN den Weg ebnet.

Aristoteles wird die Begriffsbildung GOTT zugeschrieben, als dem „unbewegten Beweger“, als Kraft und Lebensenergie, die allem immanent ist. Das patriarchale Denkkonstrukt eines „allmächtigen Vaters“ hat die aristotelische Begriffsfassung meines Erachtens nach verlassen und begrenzt.

Welcher Missbrauch im Namen dieses patriarchalen Gottes geschah und bis heute geschieht, lässt eindeutige Rückschlüsse zu auf die Wahrnehmungskategorien, die dem Konstrukt „Im Namen, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ eingewoben worden sind.

Das SEIN, das u.a. auch als das TAO bzw. DAO bezeichnet wird, umfasst Prinzipien und „Gesetzmäßigkeiten“, die religionsfrei und weltanschauungsfrei beobachtbar sind, indem die erscheinenden Phänomene leicht auf ihre innewohnenden Prinzipien zurückzuführen sind. Seien es die vermeintlichen Gegensätze in der Natur oder die menschlichen Verhaltens –  die Dualität und Polarität sind ebenso wie Rhythmen und Zyklen Qualitäten irdischen Lebens in all seinen Wandlungsformen.

Das Yin- un Yang-Prinzip bildet eine dieser Qualitäten, die sich auch im Christentum wiederfinden. Yang, dem u.a. impulsgebende Kraft sowie auch die Attribute männlich, hell und heiß zugeordnet werden, bildet die direkte Verbindung zu „Vater“ und „Sohn“. Vater und Sohn verstehen sich als Versinnbildlichungen sich sehr ähnlicher Qualitäten.

Um sich dem Nukleus leichter nähern zu können, der all diesen geistigen und spirituellen Konstrukten gemeinsam ist, erweist es sich als hilfreich, die Prinzipien und Qualitäten, die „hinter“ den einzelnen Begriffen stecken, zu identifizieren. Auch dieser Identifizierungsprozess bedient sich gedanklicher Konstrukte unter, die auch als Gedankenexperimente betrachtet werden können, um dem Verstand seinen ihm gemäßen Anwendungsraum zur Verfügung zu stellen.

Wie auch sonst in stillen Momenten zeigen sich auf diesem Annährungsweg Gedankenlücken. Sich in diesen Augenblicken jeglichen Denkenwollens zu enthalten, öffnet den inneren Raum, so dass sich durch diese Erweiterung Wahrnehmungsveränderungen vollziehen können.

Eine Gedankenlücke, also jener Moment, der zwischen dem einen und dem nächsten Gedanken leer bleiben kann, ist jene Stille, jene KONZEPTFREIE LEERE, die ERKENNEN jenseits des Denkens ermöglicht.

Diese Zwischzengedankenräume zu vergrößern, hin bis zur Gedankenlosigkeit, ist jener Zustand, den jedes menschliche Wesen (zumindest unbewusst) leben will. Sich dieses WILLENs bewusst zu werden und zu sein, ist Teil des Entfaltungsprozesses und dem schon weiter fortgeschrittenem, dem höheren geistigen Reifegrad gemäß.

©Felicitas Waltemath 2017| intrapersonale®

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